Medientage: Rede über Gewalt gegen Frauen

Medientage: Breitenecker macht Platz für Statements gegen Hass, Gewalt, Rassismus

ProSiebenSat1Puls4-Chef überließ Podium bewegenden Erfahrungsberichten von Verena Schneider, Alexandra Wachter, Gorgy Wallid und Arabella Kiesbauer

ProSiebenSat1Puls4-Chef Markus Breitenecker überließ seine 15 Minuten auf dem Podium vier seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der ProSiebenSat1Puls4-Gruppe. Sie schilderten sehr persönlich Erfahrungen mit Hasspostings, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. (zum ganzen Artikel auf derstandard.at)

In Österreich gab es 2019 36.000 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt – das sind fast 100 Anzeigen pro Tag! Im selben Jahr wurden 39 Frauen ermordet.

Mein Name ist Alexandra Maritza Wachter, ich arbeite hauptberuflich als Politikjournalistin bei PULS 4 und PULS24NEWS, bin stellvertretende Vorsitzende des Frauennetzwerk Medien, absolviere aktuell ein Master-Studium in „Politischer Kommunikation“ und ich habe mich vor Jahren aus einer gewalttätigen Beziehung befreit.

Um zu verdeutlichen, was Gewalt bedeutet, werde ich nun einen Text vorlesen, der anonym von einer Journalistin geschrieben und im Standard unter dem Titel „Ich habe eine gewalttätige Beziehung überlebt“ veröffentlicht wurde.

„Ich möchte euch etwas über Gewalt erzählen und ich möchte das anonym tun.

Der Grund, warum ich anonym bleiben möchte, ist die Scham, die mich noch immer verfolgt, wenn Menschen wissen, dass mir Gewalt angetan wurde. Ich spüre dann ihre Blicke, die mich fragen, wie es dazu kommen konnte. Sie sehen plötzlich einen schwachen Menschen vor sich. Ein Opfer. Ein Gewaltopfer. So sieht ein Gewaltopfer aus? Wie konnte das passieren? Fragen, die mich mit jedem Blick weiter durchbohren. Aber ich will über meine Gewalterfahrung reden, und so anderen Frauen zeigen: Man kann da rauskommen. Man kann überleben.

Ich habe überlebt. Ich habe mich aus dieser destruktiven, gewalttätigen, gefährlichen, bösartigen Beziehung befreit.

Gewalt kommt immer plötzlich und ohne Vorwarnung. Sie ist nicht nur schwarz oder weiß, sondern auch grau. Grau in allen Facetten. Und weil Gewalt so verschieden ausfällt, glaubt man, dass sich der Mann, der sie ausübt, auch tatsächlich ändern kann. Er ist nicht durchgängig böse. Er ist auch reuig, liebevoll und vielleicht sogar der Vater der Kinder. Er ist über Monate hinweg gut und dann ohne Vorwarnung abgrundtief schlecht.

Der Auslöser für seine Gewalt ist vielfach nicht abzusehen und die Schuldumkehr passiert in einem Abhängigkeitsverhältnis unendlich schnell. Wer will schon wahrhaben, dass der Mann, den man braucht, der der Vater der eigenen Kinder ist, ein brutaler Schläger ist?

Also verdrängt man die dunklen Tage und sieht die hellen. Man konzentriert sich auf die guten Seiten, die es auch gibt. Und nach außen, da ist er freundlich. Zu freundlich vielleicht, aber das hinterfragt niemand. Und er plant das ja auch nicht.

Er schlägt aus Überforderung und weil er provoziert wurde. So sagt er es zumindest und man will es glauben, um zu erhalten, was doch noch verbindet und weil man keine Chance sieht, das Leben alleine zu bestreiten. Man fühlt sich schuldig. Fühlt sich unfähig. Zweifelt an der eigenen psychischen Gesundheit. Vielleicht löst man seine Gewalt tatsächlich aus? Und nach seinen Schlägen, da tut es ihm leid. Er bettelt und fleht und plötzlich ist der gewalttätige Schläger, der in diesem Mann war, weg. Zurück bleibt der Mann, der gut und der Vater der Kinder ist.

Doch eines Tages, da kennt seine Gewalt keine Grenzen mehr. Da entladen sich sein gesamter Frust, seine Eifersucht und seine ganze Wut. Er spricht von Mord, wenn man ihn tatsächlich eines Tages verlassen sollte und der ohrenbetäubende Lärm seiner Schläge, Tritte und Schreie lässt die Nachbarn endlich aktiv werden. Sie rufen die Polizei.

Wenn das blaue Licht von draußen durch die halb zugezogenen Vorhänge scheint, weiß man, dass es Hoffnung gibt. Gleich werden Menschen an der Tür läuten und er wird innehalten. Er wird weggewiesen. Er wird sich fügen. Der Schrecken nimmt damit noch lange kein Ende, doch er wird unterbrochen. Man bleibt zurück. Schmerzerfüllt, gedemütigt, alleine, traurig und dennoch unendlich stark für die eigenen Kinder.

Der Mann, der Gewalt ausübt, ist kein ersichtliches Monster. Aber er ist davon überzeugt, dass er das Recht hat, sich zu nehmen, was ihm seiner Meinung nach zusteht. Seine Frau gehört ihm und er würde sie lieber zerstören, als sie freiwillig gehen zu lassen. Da gibt es keine Widerrede und auch kein Entkommen.

Die einzige Chance ist Aufklärung, Unterstützung und Schutz. Der Moment des Gehens ist der Moment der größten Gefahr.

Das größte Risiko bringt aber auch die größte Möglichkeit auf ein Leben ohne Schläge, Erniedrigung und Zerstörung. Gehen ist die einzige Option. Die absolut einzige Option.“ (N. N., 13.2.2019)

Dieser Text soll uns allen, die wir in den Medien arbeiten, zeigen, welche Verantwortung von unserer Berichterstattung ausgeht. Wir müssen Opfern eine Stimme geben. Wir müssen einen Mord benennen und dürfen nicht von einer Familientragödie sprechen. Wir müssen klar sagen, dass es in solchen Fällen keine Mitschuld des Opfers gibt. Wir müssen hinschauen und durch echtes Mitgefühl begreifen, dass das auch UNS, unserer Schwester und unserer besten Freundin passieren kann. Die Worte, die wir verwenden, prägen das Bild dieser Gesellschaft.